DER GOTISCHE DOM AM WASSER
Schinkel malte viele Variationen seiner Architekturphantasien mit einem gotischen Dom. Er nennt seine Werke selbst: "Versuch, die liebliche sehnsuchtsvolle Wehmut auszudrücken, welche das Herz beim Klange des Gottesdienstes, aus der Kirche herschallend, erfüllt."

Zentrum des Gemälde, ein Beispiel für die "Schinkel-Gotik", ist der hoch aufragende, hart am Flußlauf gelegene Dom. Die Architektur ist hier nicht nur Landschaftsstaffage, sondern Architektur und Landschaft bilden eine Einheit und symbiotische Verbindung. Die Kathedrale wird auf einen Sockel erhoben und erhält den Status eines "Denkmaldoms". Parallelen zu Schinkels späterem Kreuzbergdenkmal oder dem Entwurf zum Befreiungsdom weisen darauf hin, daß Schinkel seine Architekturträume und Visionen schon früh in seinen Gemälden umsetzte - Träume, die er erst zu späterer Zeit realisieren konnte.

Durch die Staffage im Vordergrund erhält das Bild eine fast naive, ursprüngliche Wirkung. Die Personengruppe in ihrer zeitgenössichen Kleidung gliedert sich nahezu lautlos in die historische Landschaft ein. Die gotische Kathedrale beschwört als Bildelement die romantische Rückbesinnung auf das Mittelalter herauf. Sie symbolisiert die Sehnsucht nach einem vereinten deutschen Nationalstaat und das wachsende Unabhängigkeitsstreben des Bürgertums.

Anja Jahns

Literatur
1 Der gotische Dom am Wasser, Öl auf Leinwand nach 1813, 93,8 x 125,7 cm, München, Neue Pinakothek